18.10.2011

"Die Volatilität erschlägt zurzeit die Welt"

"Die Volatilität erschlägt zurzeit die Welt"

Einkaufsberater Gerd Kerkhoff über verrücktspielende Märkte, die richtige Beschaffungsstrategie, die Unberechenbarkeit Chinas und was Loriot mit Single Sourcing zu tun hatte

Gerade kleinere Firmen unterschätzen heute oft noch die Gefahr von Lieferausfällen. Plötzliche Engpässe bei bestimmten Bauteilen machen denen weniger zu schaff en, die nicht nur von einer Quelle abhängig sind. Die Unsicherheit sei allgegenwärtig, sagt Gerd Kerkhoff im DVZ-Interview. Der pragmatische Machertyp gilt als Einkaufspionier und kennt den Mittelstand aus dem Effeff.


Herr Kerkhoff, die Japan-Krise hatte in der deutschen Wirtschaft letztlich nur punktuell Lieferengpässe zur Folge. Sind die Einkaufs- und Beschaffungsabteilungen auf solche Ereignisse besser vorbereitet, als viele denken?


Grundsätzlich orientieren sich die Manager an der Normalität. Durch solch ein Ereignis gerät die Welt komplett aus den Fugen. Auf Naturkatastrophen kann sich niemand einstellen. Entscheidend ist dann nur, wie schnell ein Unternehmen in der Lage ist, auf alternative Lieferanten auszuweichen. 


Haben die Manager der großen und mittleren Unternehmen adäquat reagiert? 


Konzerne haben grundsätzlich den Vorteil, dass sie weltweit agieren. Sie finden damit relativ schnell heraus, welcher Lieferant ein Teil alternativ fertigen kann. Die Mittelständler tun sich da mit ihren zum Teil alteingesessenen Stammlieferanten schwerer. Die Aufgabe der Einkäufer ist es aber, immer alternative Lieferanten vorzuhalten.

 

Und diese Aufgabe haben sie gut erfüllt? 


Ja, das haben sie. Und sie sind vor allem schneller und flexibler geworden. Das haben die Unternehmen aus der Wirtschaftskrise gelernt. 


Warum setzen dann einige mittelständische Unternehmen immer noch auf Single Sourcing?


Die Vorteile dieser Strategie liegen zum einen in den Skalenvorteilen und

Bündelungsmöglichkeiten. Denken Sie nur an Loriot als Einkaufsdirektor in dem Film „Pappa ante Portas“ . . .

. . . in dem er wegen des maximalen Rabatts Unmengen Schreibmaschinenpapier

einkauft und darauf in vorzeitig in den Ruhestand geschickt wird. Welchen Vorteil gibt es noch?

Hat ein Unternehmen einen Stammlieferanten, ist der Organisations- und

Dispositionsaufwand in dieser eingespielten Beziehung natürlich wesentlich geringer, als wenn man zwei oder drei Unternehmen koordinieren muss.

Schreckt dieser Aufwand die Unternehmen von einer Multi-Sourcing-Strategie

ab?

Der Mittelstand hat wegen seiner geringeren Mengen durchaus Vorteile, wenn er nur mit einem Lieferanten arbeitet, weil er bei dem einen dann noch auf eine entsprechend große Menge kommt. Teilt er diese aber auf zwei oder drei Lieferanten auf, erreicht er möglicherweise nicht mehr die Menge, die ihm Größenvorteile bringt. Multi Sourcing ist also eventuell mit einem ökonomischen Nachteil verbunden.


Ist es aber trotzdem ratsam?


Der Punkt ist: Die Welt ist nicht mehr so, wie sie mal war. Allein in den

vergangenen fünf Jahren kam es wesentlich häufi ger zu Ausfällen infolge von Naturkatastrophen als zuvor. Die Frage ist zudem: Welche Lieferanten haben in Krisenzeiten überhaupt noch die Überlebenskraft? Das hat die Autoindustrie mit zahlreichen Insolvenzen bei den Zulieferern in der Wirtschaftskrise leidvoll erfahren müssen. Und ein weiterer kritischer Punkt ist das Riesenproblem des Euroraums.


Sie meinen Griechenland?


Ja, ich kenne zwar keinen einzigen Kunden, der griechische Produkte in seinem Portfolio hat, wenn er nicht gerade handelt. Aber greift das über auf andere Länder wie Spanien, Portugal und eventuell Italien oder gar Frankreich, wird es heiß. Denn spätestens dann werden Verbindungen in der Belieferung deutscher Unternehmen gekappt.


Nun ist es aber auch so, dass es für einige Teile weltweit mitunter nur wenige Lieferanten gibt. Was dann? 


Die Konzentration in der Industrie hat natürlich grundsätzlich dazu geführt, dass man eine Tendenz zum engen Oligopol hat. Wenn Sie Multi Sourcing unter dem Gesichtspunkt sehen, dass ein Unternehmen einen alternativen Lieferanten heute sofort zur Verfügung hat, dann sind die Märkte in der Tat bei gewissen Teilen sehr eng geworden. Man kann aber auch einen Lieferanten im Vorfeld suchen, von dem man weiß, dass er über die Produktionsmittel verfügt und ihn als einen Alternativlieferanten für Notfälle aufbauen.


Eine zusätzliche Möglichkeit, die Logistikkette zu stabilisieren, wären Puffer . . .


Bestände kosten immer erst mal Geld. Das allerdings könnte bei den Unternehmen

und Banken in der nächsten Krise sehr knapp werden. Es ist doch so: Die Firmen müssen heute mindestens zu 70, 80, 90 Prozent ausgelastet sein, um Gewinne zu erzielen. Ein Maschinenbauer zum Beispiel schreibt bei einer Auslastung von etwa 80 Prozent eine schwarze Null. Danach erst – in der Spitze – verdient er sein Geld. Wenn dann ein Unternehmen aus Sicherheitsgründen einen Bestand für 2 oder 3 Mio. EUR aufbaut, ist es vielleicht schon aus der Kalkulation rausgeflogen. Die Margen sind eng! 

Ein Bandstillstand kostet allerdings auch Geld.

Sicher. Aber eine Bestandserhöhung könnte in einem Dax-Unternehmen der Vorstand heute sowieso nur noch mit einem Aufsichtsratsbeschluss durchsetzen, weil er ja damit auf eine ganz spezielle Marktsituation hin spekuliert. Der zweite Punkt, der dagegen spricht: die Schwankungen an den Rohstoff märkten. Die Volatilität erschlägt zurzeit die Welt. Es geht daher nicht mehr darum, zum Einkaufszeitpunkt den besten Preis zu haben. Die Frage ist vielmehr, ob man den richtigen Zeitpunkt erwischt. 


Apropos Rohstoff einkauf, was halten Sie von den Kooperationen, die in der Industrie immer wieder im Gespräch sind?


Einkaufskooperationen sind zwar sinnvoll, lassen sich aber nur schwer umsetzen. Zum einen ist es die Frage, ob man die verschiedenen Interessen

unter einen Hut bekommt. Und zum anderen kann es kartellrechtlich problematisch werden. Im Mittelstand ist das häufig angedacht, endet aber damit, dass die Qualität extrem unterschiedlich sein kann. Man redet also über den gleichen Rohstoff , kann aber nicht bündeln. Ich glaube nicht an große Einkaufskooperationen, zumal es einen natürlichen Feind gibt: die jeweiligen Einkaufsabteilungen. Die wollen nicht entmachtet werden.


Wie gefährlich ist die zunehmende Abhängigkeit von chinesischen Lieferanten?


Es gibt immer zu 20 bis 25 Prozent eine gewisse Abhängigkeit von bestimmten Lieferanten. Die Gefahr, die bei China immer im Raum steht: Die Politik ist unberechenbar. Deshalb gilt China nicht gerade als stabil. 


Heute beziehen deutsche Industrieunternehmen aus China hauptsächlich Einzelteile. Sind irgendwann auch komplexere Komponenten denkbar?


Die Frage ist: Inwieweit überlässt man den Chinesen überhaupt eine komplexere Entwicklung und lässt Know-how abfließen. Die Chinesen versuchen Wissen abzuzapfen und kopieren dann einfach Entwicklungen. Nicht umsonst sind Hacker-Angriffe aus China zurzeit das größte Problem der Wirtschaftskriminalisten.


Sehen Sie durch die Krise einen leichten Trend zur Regionalisierung?


In den vergangenen Monaten war dies in der Politik immer wieder zu beobachten.

Denn von einem Rückzug in kleinere Wirtschaftsräume erhofft man sich mehr Stabilität. Ich denke aber, es läuft genau entgegengesetzt. Wir haben ja heute schon komplett global verteilte Prozessketten. Diese Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten oder rückgängig zu machen.

Herr Kerkhoff , vielen Dank für das Gespräch.


Das Gespräch führte Claudius Semmann.


Zur Person:

Gerd Kerkhoff

Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Düsseldorfer Einkaufsberatung Kerkhoff Consulting übernahm nach seinem BWL-Studium gemeinsam mit seinem Studienfreund Hubert Tempelmann die Geschäftsführung der Kaffeerösterei der Familie Tempelmann. Dort schlug er Kapital aus der Preisspreizung im Einkauf. Kerkhoff (Jahrgang 1958) baute den Betrieb bis 1999 zur zweitgrößten Kaffeerösterei für Handelsmarken aus. Die „Wirtschaftswoche“ zeichnete seine Beratungsfirma mit über 200 Mitarbeitern zuletzt zweimal in Folge als beste in der Kategorie Supply Chain Management aus. 

Share by: